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eine Kurzgeschichte von
Manuel Glüheisen



Rot und fleckig – so präsentierte sich das Hemd von Klärchen an diesem Morgen. Als sie es gestern Abend anzog, verschüttete Milli Klärchens Rotwein. Milli war eine gute Freundin von Klärchen, da sie viele Gemeinsamkeiten haben, was Milli aber oft nicht einsehen will und weshalb sie sich auch oft streiten.
Das Hemd wurde Klärchen von ihrem Freund Clark geschenkt. „Der hat schon einen seltsamen Geschmack“, dachte sich Klärchen, aber so früh am Morgen mochte sie noch nicht darüber nachdenken.
So stand sie – wie jeden Morgen auf. Das machte man doch so, erinnerte sie sich oder war doch heute ein besonderer Tag – vielleicht ein Feiertag? – Nein! Ihr Kalender an der Wand löste das Rätsel.
Das Telefon klingelte – das Klingeln war ein Signal, dass man den Hörer von der Gabel nimmt. Jemand wollte mit Ihr sprechen. Jetzt fragte sie sich, wer es sein könnte. Also ging sie zum Telefon; was sollte sie denn sonst jetzt auch anderes tun?
Es war Milli – Klärchen wusste nicht, ob sie sich freuen sollte, dass sie es war.
Wir treffen uns um zehn vor sieben an der Bushaltestelle – ach ja! Klärchen musste ja zur Uni. Sie traf sich jeden morgen mit Milli – da konnte man sich jedenfalls unterhalten – noch vor der Schule. Unterhalten über Millis neue Schuhe, was sie gestern erlebt hat und was sie heute Nachmittag machen.
Milli sagte: „Wir gehen zu Michi. Den habe ich lang nicht mehr gesehen.“ Klärchen nickt – in Gedanken vertieft. Eine Stimme sagt „Bochum Universität“. Klärchen und Milli stehen genau in diesem Moment auf. Viele stehen auf. Fast alle.

Also, stehen wir auch auf. Als die letzte Vorlesung über die Zeit der Aufklärung und ihre Parallelen zur gegenwärtigen Zeit vorbei war ging wir – nachdem sich Milli aufregte, wie schwachsinnig der Vortrag doch war – wieder zum Bus. Milli rief noch: „Auf in die Freiheit!“
Ich schaute mich um und sah viele fröhliche Gesichter. Kein Wunder, es war auch ein sonniger Tag, der Himmel war tiefblau, ein leichtes Lüftchen kämpfte gegen die wohlige Wärme an. Ich hörte wie jemand in seiner Clique sagte: „Ein Traumwetter, nicht wahr?“
Was meinte Milli wohl mit Freiheit? – ach bei einem solch tollen Wetter denke ich gar nicht darüber nach! Ich bin ein sehr gefestigter Mensch. Meine Qualitäten sind u. a. Referate zu halten. Schon in der Schule lobten meine Lehrer mich dafür. Ich möchte später gerne beim Radio arbeiten oder was im Fernsehen machen. Am liebsten Dokumentationen kommentieren. Auch auf der Universität halte ich gute Seminare – sagt mein Professor.
Milli meint, dass das Zukunft hätte. „Vielleicht werde ich ja mal berühmt. Was meinst Du?“ – Milli schaute mich verdutzt an. „Na klar. He, wir leben im 21. Jahrhundert – die Medienwelt ist unausschöpflich.“ Dann erzählt sie mir von ihren Träumen einmal Individualist ... nein, es war Journalist zu werden. Da hat sich Milli ja was Interessantes ausgesucht.
Noch bevor ich meinen Gedanken zu ende führen konnte, trafen wir Peter.
Ich mag Peter nicht. Ich weiß nicht, warum. Er war immer nett und liebenswert, aber irgendetwas hatte er an sich, ... na ja.
„Was hast Du heute noch vor? Hast Du Zeit?“ Ich antwortete, dass ich heute mal wieder zu Michi wollte und Milli kommt auch mit. Ich wusste, dass er Milli nicht mochte; das hat man im Gefühl. Und wie erwartet ließ er sich eine Ausrede einfallen. Milli und ich lachten laut.

Später, nach einem gemeinsamen Stadtbummel von Milli, Michi und Klärchen, hörte man plötzlich Klärchen und Milli wieder streiten:
„Wir leben im 21. Jahrhundert: da muss man seinen Kasten anstrengen, um sich zu verwirklichen.“ –schrie Milli Klärchen an.
Ein starker Wind wehte und der Himmel wurde schwarz. Eklige Nässe zog in den Körpern. Erste Regentropfen fielen.
Klärchen antwortete: „Es ist doch eh alles vorbestimmt. Das Buch ist uns ein Wegweiser und andere Menschen eine Form.“
Der Regen wurde kräftiger und peitschte mittlerweile schon gegen die Fensterscheiben. Michi suchte sich eine Überdachung während die beiden im strömenden Regen weiter stritten.
Milli: „Wie kommst Du denn darauf? Wir leben doch nicht mehr um 1800 – mit so einer Einstellung wird nie was aus Dir!“
Da war manch einer froh, dass er in aller Ruhe vor seinem Fernseher mit seinen Chips sitzen konnte. „Erzürnte Götter“ nannte der Geschichtsprofessor Michis solche Unwetter.
Klärchen beruhigte sich und stellte sich gemeinsam mit Michi und Milli unter: „Du hast recht, so sollte ich nicht denken.“
Der Streit beruhigte sich und das Wetter auch. Und nach einer Zeit, als die ersten Vögel wieder zu zwitschern beginnen fragt Milli: „Welcher ist heute?“ Es war ein seltsamer Tag. Klärchen wachte am Morgen wieder auf und sie wusste das erste mal, dass ihre Tränen im Kissen sie in der nächsten Zeit unruhig schlafen lassen.